Flucht hat viele Gesichter
1945 – Von Dresden nach Heidelberg

von Hans-Jürgen Fuchs, 15.10.2015

„Flucht hat viele Gesichter” heißt eine Reihe, die der Stadtteilverein Rohrbachs, der punker und die AG „Asyl in Rohrbach“ initiiert haben. Es ist ein Erfahrungsaustausch, wie Menschen das Verlassen der Heimat für immer überwinden können. Ziel ist es auch, das Verständnis für Flüchtlinge und ihre Situation zu verbessern. Zum ersten Abend im Alten Rathaus in Rohrbach waren Karl Bellm (Jhrg. 1937) und sein Bruder Helmuth Bellm (Jhrg. 1929) unsere Gäste. Sie berichteten über Ihr Leben nach dem Krieg in Dresden und Heidelberg. Die Moderation hatte Annette Bellm.

600 km in 29 Tagen legten die Bellm zurück auf ihren Weg von Dresden nach Heidelberg. Mitnehmen konnten sie nur das Nötigste in einem Leiterwagen und ein Kinderwagen. Unterwegs wurde sogar noch Bettwäsche „abgeworfen”, um leichter laufen zu können. Sie leiden mit in einem Treck von Menschen: Flüchtlinge aus dem Osten, Leute, die die sowjetische Besatzungszone verlassen wollten. Der Weg führte durch verminte Straßen und war sehr mühsam. Oft kam der Gedanke, ob es wohl richtig war zu flüchten.

Damals gab es auch kein gutes Kartenmaterial, kein GPS. Deshalb hat der Vater einen Plan an einem Bahnhof mitgenommen, den die Bellms zeigten.

Der Weg durch die sowjetische Zone war auch nicht ungefährlich. Es gab Sperren, Kontrollen und gefährliche Situationen. Bis hin zu einer Scheinexekution des Vaters durch einen sowjetische Soldaten.

Es war nicht einfach, von der sowjetischen in die amerikanische Besatzungszone zu wechseln. Die Amerikaner hatten Sperren errichtet. Manche mussten tagelang warten. Ein Bauer half, einen Weg über die grüne Grenze zu finden indem er sie in einem Ochsenkarren versteckte.

Die Bellms hatten sehr viele Verwandten in Heidelberg und Umgebung und die Eltern fühlten sich schnell heimisch. Anfänglich war es nicht klar, ob man noch mal nach Dresden zurück kann. Erst nach der Wende wurden dann wieder Kontakte zu den alten Freunden aufgebaut werden. Das Wiedersehen war auch eines mit Heimat: „Innerlich bist Du doch noch dort …”

Neben den Bellm-Brüdern kam auch Bodo Bremer zu Wort. 1942 geboren als Sohn eines Deutschen Offiziers und einer polnischen Mutter, kam er mit Mutter und kleinen Bruder nach Heidelberg nach einer Zwangsevakuierung.

Die Familie war sehr begütert, so begann die Flucht mit einem Auto. Weiter ging es dann mit einem Pferdeschlitten bis Dresden. Einen Tag vor der Zerstörung verließen sie die Stadt. Ein großer Teil des Hab und Guts wurde unterwegs gestohlen.

Die Mutter sprach kein Deutsch und in Heidelberg galt sie als „Polakin”.  Bodo Bremer sagte, er habe nur noch wenig Erinnerungen an seine Kindheit. Aber er hört noch die Stimmen: „Haut ab, geht zurück, ihr Polaken!” Zum Glück war er noch jung und kümmerte sich nur begrenzt um die Anfeindungen. 

„Margot”, eine Besucherin, berichtete, wie sie als Flüchtling in der Heinrich-Fuchs-Straße in das Haus von Karl Heinz Frauenfeld einquartiert wurde, in die Wohnung der Eltern der Bellms. … und dass daraus eine Freundschaft fürs Leben wurde.

Und Ludwig Schmidt-Herb erzählte schließlich, wie er in einem Bauerndorf aufwuchs. Daran dass Flüchtlinge dort untergebracht werden sollten und dass „Flüchtling” ein Schimpfwort war. 

Musikalisch wurde der Abend von Raphael Messmer und Wolfgang Döther begleitet. Herzlichen Dank dafür!