Abschied vom Rohrbacher Bächlein

von Hans-Jürgen Fuchs, 22.05.2015

Alte Fotografie

Gerade erst wurde der umgestaltete Rathausplatz eröffnet. Mit einem Bachlauf, einem fiktiven. Der an die Bach erinnert, die hier floß. Bis sie dem „Fortschritt und dem Verkehr zu Opfer fiel.

Jetzt, ziemlich genau 50 Jahre später fiel Franz Maucher beim Entrümpeln ein Gedicht in die Hände, geschrieben 1965 als die Bach verdohlt wurde. Und um die Bach geht es in diesem Gedicht von Katharina Schädel.

 

Abschied vom Rohrbacher Bächlein
Im April 1965

Voll Wehmut vernahm ich die traurige Kunde,
dass wahr wird, was längst schon in aller Munde:
Das Rohrbacher Bächlein soll verschwinden,
es soll sich durch dunkle Rohre winden.
Wenn der heut'ge, moderne Mensch beschließt:
Das Bächlein ist ein Verkehrshindernis,
erreicht ohne Widerstand er sein Ziel.
Das Bächlein muss weichen, obgleich es nicht will.
Es muss in die leblose Tiefe steigen,
wo nur noch Finsternis und unheimliches Schweigen;
kein Licht – und kein Sonnenstrahl erhellt
ihm den Lauf in der dunklen Unterwelt.

Mir war's Bächlein von frühester Jugend an
wie ein getreuer Freund zugetan.
Als Spielgefährte in den Kinderjahren
durften wir manchen Spaß erfahren.
Es kam uns entgegen so heiter und froh,
wenn durch die Räume irgendwo
ein früher Sonnenstrahl schnell es geküsst
und nickende Sträucher es freundlich gegrüßt.

Wir Kinder wateten froh und munter
immer durchs Bächlein mal rauf und mal runter,
und die selbstgebastelten Schiffchen fuhren
auf seinem Rücken in vollen Touren.
Die größeren Buben hüpften mit Stangen
quer über den Bach, um sich einzufangen.
Es gab keins von uns Kindern – ja, das ist wahr,
das nicht in den Bach gefallen war;
und Eltern und Großeltern sagten zum Trost:
Wer net in die Bach fällt, werd a net groß.

Am Millebergswegl war ein Wasserfall,
– 20 cm hoch – doch konnten wir all
im Gegensatz zu anderen vielen
hohen Wasserfällen, dort spielen.
Hier wurde meistens ein „Neckar” gebaut,
mit Säcken und Steinen das Wasser gestaut;
von ganz oben hüpften unsere Bälle
lustig tanzend von Welle zu Welle.
Da hatten wir Kinder viel größere Freude
als im modernsten Schwimmbad heute.

Dann sind mal Enten; mal Gänse gekommen
und in den gestauten See geschwommen;
im Gänsemarsch kam die schnatternde Schar,
um ein Bad zu nehmen, weil es nötig war,
und dann in die warme Sonne
sich tüchtig geschüttelt, getrocknet, gepflegt.
Und das Lied aus dem Plätschern konnt' keinem entgeh'n:
„Hier ist es doch herrlich, hier ist es doch schön!”

Manch' lechzender Hund hat am Bach sich ergötzt,
manch' Vöglein die „singende Kehle genetzt,
die Rehlein im Walde spähten und lauschten,
wenn nur noch die Blätter der Bäume rauschten
dann schnell mal, ans Bächlein zum frischen Trank
und freundlich genickt: Hab Dank, hab Dank!

Wieviel Kannen voll Wasser, es ist nicht zu sagen
haben fleißige Frauen in die Gärten getragen,
um die keimende Saat und die Blumen zu gießen,
die sich wachsend und blühend dankbar erwiesen.

Nach der Arbeit wurden Eimer und Kannen,
Kübel und gebrauchte Wannen,
Spaten und Hacken und andere Sachen
an's Bächlein getragen zum Saubermachen.
Für Mensch und Tier zu jeder Zeit
war´s Bächlein immer dienstbereit.

So war man so ziemlich dem Abend nah;
es war ein Erlebnis, was dann geschah.
Ein kräftig Ho – Ruck, und der Stau brach entzwei,
wir machten zuvor den Weg noch frei;
ein mächtiges Poltern und Brausen erscholl
wie fürchterlicher Dannergroll.

Wann ein „schwer Wetter” am Himmel hing,
ein Wolkenbruch hernieder ging,
da schwoll doch's Bächleins Zornesader an,
es fürchteten sich Maus und Mann,
wenn es, was in den Weg ihm kam,
einfach alles mit sich nahm.

Und manchmal ist es dem Bächlein gelungen,
s'ist über sein eigenes Bett gesprungen
und manchem Bürger wutentbrannt
in den tiefergelegenen Keller gerannt.

Doch wenn es dann wieder Morgen war,
war's Bächlein wieder frisch und klar,
und aus dem Plätschern hört man's raunen:
„Heut bin ich wieder guter Launen.”

Doch auch im Winter, wenn es geschneit,
war's Bächlein zu manchem Spaß bereit.
Vor unserem Haus war `ne Schlittenbahn,
sie war nicht so lang, stieg nicht so steil an,
so richtig für uns Kinder gedacht;
hier wurde gefahren, getummelt, gelacht.
Dabei wurde ein Schneemann gebaut,
der immer so schelmisch zugeschaut;
inzwischen schnell mal durchgeschwärmt,
doch hat's ständig gelockt wenn's draußen gelärmt.

Damals gab's keine „Davoser” wie heute,
und „Rodeln”, das kannten nur „bessere Leute”,
unsere niederen Schlitten, Rutscher genannt
waren als unentbehrlich bekannt.
mit ihnen mussten schon unsere Eltern
als Kinder in den verschneiten Wäldern
Säcke voll Späne beim Holzhauer holen;
sie waren billiger als Kohlen.
Der Bub obendrauf, der Sack darunter,
so sauste der Rutscher den Berg hinunter.
s' Millebergswegl wurde auch ausprobiert;
die meisten hatten mit ihren Schlitten
doch die richtige Kurve geschnitten;
doch ab und zu sauste der Rutscher, – o Pein –
schnurstracks in die nasskalte Bach hinein.
Und's Bächlein plätscherte: „Mich hat's gefreut,
das war mein schönstes Erlebnis heut”,
und eine lustige Schneeballschlacht
hat alles wieder gutgemacht.

Doch im Winter war schneller der Abend da,
da rief auch schon die Großmama:
„Ihr Kinder, hört ihr, dass Nachtglock leit?
Eich halt noch de Nachtkrabb, auf jetzt werd´s Zeit
Und´s Nachtgebet endete: „Lieber Gott!
Lass schneiche, dass morje noch mehna Schnee i hot.”

Seitdem sind schon viele Jahre verstrichen,
es hat sich so vieles geändert inzwischen.
Großeltern, Eltern, Brüder, Verwandte,
liebe alte und junge Bekannte
gingen; `s war immer zu früh an der Zeit;
uns blieb die Trauer, das Heimweh, das Leid.
Es gab so manche schlaflose Nacht,
auch´s Bächlein hat sich bemerkbar gemacht;
sein Plätschern war traurig, es raunte mir zu:
„Auch ich habe Heimweh, genau so wie du.”

Jetzt sind wir die Alten in unseren Gassen,
seitdem sie uns für immer verlassen.
manchen Abend, bevor ich ging zur Ruh,
schaut ich so gern noch dem Bächlein zu.
Der Anblick bot ein bezauberndes Bild:
Der Mondschein legte sich weich und mild
auf die kleinen Wellen; so malerisch schön
hab ich selten die Natur geseh'n.
Ein romantisches Fleckchen aus alter Zeit
muss sinken in die Ewigkeit.

Das Plätschern des Bächleins ist nur noch ein Klagen:
„Ich muss den Schritt in die Tiefe wagen,
ich erlebe nicht mehr die Jahreszeiten,
ich höre nie wieder die Glocken läuten,
kein Sonnenstrahl streift mich auf meinem Gang,
es erfreut mich nicht mehr der Vöglein Gesang,
und von Gärten, blühenden Blumen und Bäumen
darf ich nur noch träumen – träumen.”

Und ich tröste das Bächlein, indem ich ihm sag:
„Sieh Bächlein, für Dich wird es auch wieder Tag,
irgendwo, an einem anderen Orte
öffnet sich Dir wieder die Pforte,
dann wird Dir die Sonne wieder scheinen,
Du wirst Dich mit vielen Tropfen vereinen
zu einem großen gewaltigen Strom;
es grüßt Dich manch' Schloss und manch' herrlicher Dom.
Du wirst mithelfen, ganz große Schiffe zu fahren,
wie Du keines gesehen in all den Jahren.
Du bist, wie wir, im großen Getriebe
ein winziges Rädchen – der Technik zuliebe.
Vielleicht darfst Du einmal aus Himmelshöhen
als ersehnter Regen hier niedergehen;
die Gärten, die Gräber der Freunde begießen
und die veränderte, liebe Heimat grüßen.”

 

Katharina Schädel